Karin Schwarzbek

Schöner Denken, das Werk «041»: Rezension: Neue Kollektion im Kunstmuseum Thurgau von János Stefan Buchwardt 2022

Schöner Denken, das Werk «041»: Rezension: Neue Kollektion im Kunstmuseum Thurgau von János Stefan Buchwardt 2022
31. März 2022

Schöner Denken

Über drei zeitgenössische Einzelwerke wollen wir der Ausstellung «Neue Kollektion» im
Kunstmuseum Thurgau auf den Zahn fühlen. Teil 1: Was hat es auf sich mit dem
sonderbaren «Täschli» aus der Hand von Karin Schwarzbek?

Da schlendert man an den letztjährigen Ankäufen im Kunstmuseum Thurgau vorbei und stösst, neben
viel Unkonventionellem, auf ein regelrecht vornehmes «Täschli». Nicht einmal schämen muss man sich
dafür, eine solche erste Zuordnung zu treffen. Karin Schwarzbek nickt freundlich mit dem Kopf. Ein
warmes und «schönes» Objekt geradezu, das mit einer Aura des Hochwertigen blendet. Nicht nur, dass
das Rätselhafte augenblicklich und herkömmlich anrührt, «041», so der Titel des lediglich nummerierten
Werkes, biedert sich dem Wunsch nach Ästhetik förmlich an.
Selbstzweifel beim Museumsbesuch eines Kunstbetriebslaien sind an der Tagesordnung, setzt
Gegenwartskunst doch auf Verwirrung und Widersprüchlichkeit. Hingegen darf Banausentum längst
mutig eingestanden werden, weil das Spiel mit Sinnhaftigkeiten oft undurchschaubar bleibt. Ein
«Täschli» ohne Henkel oder Trageriemen? Für eine Clutch, die sehr kleine Kuverttasche zum
Unterklemmen, zu gross. Ein stilisiertes Luxusobjekt also, kuratorisch gleissend ins Licht gesetzt? Oder
eben so viel mehr – wie sich aus dem erkundenden Gespräch mit der Künstlerin herausschält.

Bags, Bags, Bags

Zweiter Anlauf: Teuer, edel, faszinierend. Man tritt näher, will entschlüsseln. Keine exquisite
Luxustasche aus Krokodilleder, weder Prada noch Saint Laurent. Dennoch hochwertig, ein Oberschicht-Ansinnen auslösend. Wieso sind die Stoffränder ausgefranst? Die gefaltete Oberfläche löst den Eindruck bemalter Leinwand aus. Elegant und roh belassen zugleich, gewissenhaft und diszipliniert verarbeitet. Man lässt den Kunstgegenstand Vollendetsein schüren, nicht Ärger. Man unterstellt Wohlüberlegtheit, Stilbewusstsein, Statuscharakter. Einfach nur goldig?

Schlangenleder, Nerzfell, Dekadenz. Das würde der Oligarchen-Gattin gefallen. Wenn Schwarzbek Liebe zur Materialität an den Tag legt, will sie nicht zum Luxussegment verführen. Der Accessoire-Charakter des Kunstartikels mag Lockvogel sein. Ihr Herz schlägt für die künstlerische Intervention, hier gepaart mit Stylischem. Sie hinterfragt den Schaufensterglanz venezianischer Gucci-Gassen, während sie an den Pforten der Sakralbauten wie an denen der Hallen der Kunstbiennale pocht. «041» bewegt sich zwischen anziehendem Schein und leiser Opposition des Makels, des Unfertigen.

Konsumkultur und Ethik

Assoziativ herangegangen: Göttliches Geschenk? Ein entleerter Schrein, ein Gefäss der Spiritualität? Schönheit als irdische Idee abgetan … Warum sie so selten zu finden ist im Kunstbetrieb der Gegenwart? ... Überdrehten Individualismus küren, Hochglanzmagazine auf Salontischchen drapieren. «Schöner Grillen» im Hause des Kunstenthusiasten, noch «Schöner Wohnen» im Luftschloss mit Massenresonanz … – Allerweltsthemen oder einfach nur dem Wahn des Exklusiven verfallen sein?

Handkehrum: «Ob nicht das profane Anlangen- und Habenwollen», fragt Schwarzbek sich, «mit dem
Wunsch vergleichbar ist, ein Renaissancegemälde zu erfahren, eine Ikonenmalerei sein Eigen zu nennen oder einen spirituellen Raum zu begehen? Den ganzen Klunker einer Barockkirche konsumieren wir», sinniert sie vor sich hin, «wie wenn wir in einen Shop gehen, der wunderschönes Design führt.» So ist ihr «Täschli» auch nicht einfach nur so bemalt und zusammengelegt, sondern spürt gewissermassen gutes und schlechtes Ansinnen auf.

Ungeschönte Offenlegung

Schwarzbek löst den Wunsch nach Berührung und Berührtwerden aus. Sie greift nach der Durchschaubarkeit der Leinwand, versucht Ränder der Malerei auszuloten, indem sie aufzeigt, was ein Bild materiell bedeuten kann. Innenliegend zeigt «041» die Rückseite eines einstigen Werks, die Aussenhaut ist die ursprüngliche Falschgold-Vorderseite. Sichtbarkeit, Einsehbarkeit, die ungeschönten Stoffränder – alles in allem ist das die Offenlegung des komplexen Spiels, ein Bild zu malen. Der Arbeitsprozess an sich sei Teil der künstlerischen Aussage und darüber hinaus eine Art Malforschung. «Ich sehe die Tasche als augenzwinkernden Solitär. Meine anderen Arbeiten sind stiller, kunstkontextorientierter», so die Künstlerin. Gerade über ihr Stummsein äussern sich die titellosen, immerhin noch nummerierten Werke. Der gebrochene, inwendige Weisston des mit gallertartigem Hasenleim und Kreide behandelten feinen Stoffes etwa spricht zu uns, indem er samtig anmutet, hautig
oder sogar körperpudrig.

Sensibles Aufwühlen

Dringen wir weiter ein, kosmopolitische Kunstdiskurse im Hinterkopf, aber vielleicht doch nur trivial
nachspürend: Konvention ist für Schwarzbek etwas, das man ergründet und umformt. Eine Berechtigung ihrer modernen Kunst liegt darin, Kontrapunkte zu den Alten Meistern zu setzen,
eingefleischt Herkömmliches spielerisch zu durchleuchten und zu überschreiten, wie sie es selbst wohl
fassen würde. Weit weg von Veräppelung und mit sensiblem Aufwühlen hinterfragt sie Kunsttraditionen
und zuletzt auch Aspekte der Kultiviertheit.

Anfangs noch war Schwarzbek als Malerin «figürlich» unterwegs. Die Bildbefragung zieht sich durch ihr
Schaffen, kunsthistorische Übergangsphasen interessieren sie. Sich viel und vor allem in dieser
Lagunenstadt bewegend hatte sie ein besonderes Interesse für die Malerei der Frührenaissance
entwickelt. «Byzantinisches spielt in diese Epoche noch hinein. Drum war immer auch ‹Gold› ein Themafür mich», holt sie aus. Sie gewann Einblick ins Restaurieren, die Materialität der Alten Meister
interessierte sie, deren Langsamkeit, Farbigkeit und Malschichtung.

Umplatzierung und Verformung

Das Werk «041» ist also auch eine Auseinandersetzung mit Gold im ikonischen Kontext. Es wird zum
Objekt einer Inszenierung, die mit Kultcharakter und Spirituellem spielt. Fragen flackern auf: Wann und
wie löst sich ein Bild von religiösen Zuordnungen, wann vom Eingebundensein in die Architektur? Wann
und wie von der Wand? Sobald die bildliche Darstellung mit flächenhaftem Grund Umplatzierung und
Verformung erfährt, wird sie zur autonomen künstlerischen Verfremdung. Ab wann «verkommt» Kunst
zum Luxusgut?

Überraschende Zusammenfügungen
Das ominöse «Täschli» ist eine der ersten Arbeiten, bei denen Schwarzbek die kreierte Leinwand vom
Keilrahmen abnimmt und zur taschenförmigen Box zusammenfaltet. Flächiges mutiert zu
Dreidimensionalem. Es gab andere eingeschlagene Erzeugnisse: Gefässe, Etuis oder Hüllen. Zerlegen, zerschneiden und neu formen, ganze Leinwände oder aktuell auch Kleider. Aus Teilstücken (re)generiert sich Neues. «Die Bewegung weg vom Tafelbild ist mir wichtig», hält die Künstlerin fest. Der klassische Bildträger «Leinwand» wird fragmentiert und erfährt überraschende Zusammenfügungen. Körperhaftes ist am Werk, Verselbständigung, ein Kunsthandlungsablauf: Der wahrhaftige Bildkörper erfährt den Raum. Überhöht ausgedrückt: Die Leinwand «041» ist «Fleisch» geworden, ist in einen Körper (ein)gegangen, der kein Gerüst mehr braucht. «Zum Ablegen oder Archivieren», fügt Schwarzbek an, «kann man sie problemlos wieder zusammenlegen.» Es habe zwei Befestigungen, die man lösen könne. Mit einem Schmunzeln schiebt sie hinterher: «Einfach versorgen und wie ein abgelegtes Textil wieder aus dem Schrank hervorholen.»

Wischgold und Alltag

Bonmotartig und zuspitzend ausgeholt: Karin Schwarzbek lehrt uns über unsere Haut zu sehen und mit
dem Auge zu fühlen. Das im Format gebrochene und im Nachhinein zum Gefäss gefaltete goldige Bild,
steht auch für eine einfühlsame, wenn nicht erlauchte Künstlerin. «Darauf, dass ich Malerei so sehr
liebe und trotzdem in unserer Zeit lebe, muss ich auf meine Art und Weise reagieren», sagt sie. Gold
und dessen Zuordnungen oder auch nur der Eindruck dessen, also ihr Wischgold, könne zur geistigen
Tiefe animieren und den Materialwert hintanstellen.
Die Tasche ist von 2015. Inzwischen hat Schwarzbek die Farbe weggelegt und ihre Malerhose in eine
Leinwand eingenäht. Ihr Alltag: Kleider entfärben und aufspannen, Musterungen nachspüren, Spuren
von Tun und Zeit festhalten. Arbeit mit Stoffen und deren Eigenfarbe, mit der Spannung des Maltuchs
oder mit Kleidung wie etwa dem Funktionstextil der Warnweste. Sicherheit und Sichtbarkeit, Livefotos
und die Frage, was wir von einem Bild erwarten, sind da aktuell die Schlagworte für eine im
Frühsommer erscheinende Publikation im Rahmen der von der Kulturstiftung des Kantons Thurgau
herausgegebenen Reihe Facetten.
Das vorgefundene Spiel ist faszinierend: Verhüllendes umdeuten und mit Körperlichkeit
zusammengehen lassen. Über Feinstofflichkeit Bezüge zum Plastischen, aber auch zum Design
herstellen. Von verführerischen Oberflächen erzählen und unsere Sinne durch die Vermengung von
Sinnlichkeiten bestricken oder schärfen.